Kryptoapokalypsencalypso

Als ich neulich in meiner Kemenate saß und die Gutenbergbibel vom Mittelhochdeutschen ins Schwedische übersetzte, vernahm ich aus dem Vestibül einen beunruhigenden, calypsoartigen Minnegesang.  Die Apokalypse erreiche Borkhorst, hieß es es dort bedrohlich. Nun, es stellte sich heraus, dass es nur eine CD des aus dem Westfälischen stammenden Bänkelsängers Bernd Begemann war, aber die Apokalypse war in der Welt. Ich beschloss, mich dem Thema weiter zu widmen.

„Wieso schwafelt der Kerl so geschwollen altertümlich daher?“ höre ich jetzt die Mitglieder der Generation Y raunen. Nun, meine Lieben, weil es hier um ein Thema aus der Vergangenheit gehen soll. Ich stieß bei meinen Recherchen über die Apokalypse nämlich auf einen Artikel aus dem Jahr 2013. Für Digital Natives ist das quasi Mittelalter.

„Die Krypto-Apokalypse droht“ war der Artikel überschrieben. Dort wurde offenbart, dass verbreitete kryptografische Verfahren wie RSA und Diffie-Hellman bald alle unsicher seien könnten, weil die Forschung Dinge herausgefunden habe, die unter bestimmten Umständen, wenn auch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit, und auch jemand auf eine Idee komme, wie diese Algorithmen, wenn nicht sogar ganze Verfahrensklassen, unter der Einbeziehung der theoretischen Möglichkeit, außer Tiernahrung, und das Ganze auch noch im Nullkommanix. Die Präzision der journalistischen Aufbereitung hat mich fasziniert. Es folgten noch eine Menge Fachbegriffe wie diskrete Logarithmen, Elliptische Kurven und Gruppentheorie, was den Text zwar nicht mit Fakten, jedoch mit weiterer Bedeutungsschwere auflud.

Alle Apokalypse-Termine auf einen Blick
Welche Apokalypse hätten Sie denn gerne?

Blöd war nur, dass diese Begriffe fast alle falsch verwendet wurden, wie ein in der Mathematik offenbar bewanderter Kommentarschreiber fachkundig darlegte. Aber wen interessiert schon Exaktheit, wenn man Angst und Schrecken verbreiten kann? Angesichts der angekündigten Krypto-Apokalypse sind das doch Haarspaltereien. Natürlich wurden auch noch die NSA und der russische Geheimdienst erwähnt. Apropos: Hallo BND, alter Erfüllungsgehilfe, wie ist das Befinden heute?

Aber zurück zum Thema. Ich habe mich gefragt, wem ein solcher Artikel nützen soll. Das Thema Verschlüsselung empfinden viele als – Achtung, Wortspiel! – kryptisch und nähern sich dem nur zögerlich, obwohl’s ja eine gute Sache ist. Ein solcher „Ist ja sowieso alles knackbar“-Artikel spielt denen in die Hände, denen Verschlüsselung eh ein Dorn im Auge ist, zum Beispiel der NSA und dem BND. Security Awareness sieht anders aus.

Jetzt könnte man sagen „Naja, wen interessiert schon, was irgendwer auf irgendeiner Webseite sagt?“. Würde ich ja auch sagen, wenn ich den Artikel nicht bei heise.de gefunden hätte, der Startseite im Browser vieler IT-Profis, die davon ausgehen, das glauben zu können, was sie dort lesen. Auch die apokalytische Schlagzeile hätte besser zur, sagen wir, Computerbild gepasst.

Übrigens: Wenn Sie Kryptoapokalypsencalypso bei Scrabble legen, bringt das 1568 Punkte.

P.S. Auf einen früheren Blogeintrag schrieb ein Leser, ich solle doch durch Markieren mit Smileys bitte angeben, welche Stellen ironisch gemeint seien, er verstünde sonst den Sinn nicht. Dem Wunsch möchte ich gerne nachkommen: das Lied „Die Apokalypse erreicht Borkhorst“ von Bernd Begemann ist gar kein Calypso, das habe ich nur so gesagt 😉

 

 

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